Fluchterfahrungen aus erster Hand
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„Ich habe 29 Jahre in Syrien gelebt. Aber dieses Syrien, wie ich es kenne, gibt es nicht mehr“. Wissam Abou Hassoun berichtete am Freitag, 22.11. in beeindruckender Weise den Schülerinnen und Schülern der Q11 von seiner Flucht aus Syrien vor vier Jahren. Zusammen mit Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung aus Nürnberg kam Wissam Abou Hassoun ans Kaspar-Zeuß-Gymnasium, um aus erster Hand von seiner Flucht und seinem Neubeginn in Kronach zu erzählen. Zuerst berichtete Frau Mair als Einführung Grundsätzliches zu Migration und stellte die verschiedenen Phasen der Migration in Deutschland vor. 2015 stellte ein besonderes Jahr dar, indem so viele Menschen nach Deutschland kommen wie niemals zu vor – abgesehen von den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg. Frau Mair verknüpft die Geschichte der Migration auch mit der Geschichte der Ablehnung. Die Ablehnung lässt sich auch an Statistiken über Anschläge auf Flüchtlingsheime ablesen, Dass Menschen gleich sind, egal wie sie aussehen, wo sie herkommen oder woran sie glauben, ist noch relativ neu und „wir in Deutschland können stolz darauf sein, weltweit ein Vorreiter zu sein, da die Gleichberechtigung in unsren Gesetzen so verankert ist!“, so Frau Mair weiter.

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Nach diesem ersten Teil erzählt Wissam Abou Hassoun seine persönliche Fluchtgeschichte.

Bis 2013/2014 war seiner Meinung nach das Leben in Syrien relativ sicher, so dass man am Feierabend beispielsweise auf der Straße spazieren gehen konnte. Der Bürgerkrieg änderte diese Situation allerdings. Wissam Abou Hassoun spielt eine Tondatei ab, die er in Syrien noch aufgenommen hat. Als er auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz war, war noch alles ruhig. Doch in der Bank angekommen, in der er arbeitete, begann der Raketenbeschuss: In den 30 Sekunden, die er vorspielt, sind sieben Raketeneinschläge zu hören. „Alltag“, wie er es nennt. Seine Wohnung wurde von einer Rakete getroffen, der Strom fiel immer wieder aus und teilweise musste man acht Stunden anstehen, um ein Brot kaufen zu können. 11 Millionen Syrer haben ihre Heimat mittlerweile verlassen. Wissam ist einer davon.

Aus Syrien über den Libanon und die Türkei kam er mit einem Schlauchboot nach Griechenland und von dort lief er über Mazedonien nach Serbien und kam über Ungarn nach Österreich und Deutschland. Nach 21 Tagen kam er in Deutschland an. Hauptgrund für seine Flucht war die Verweigerung des Militärdienstes. „Wäre ich geblieben, wäre ich entweder gestorben oder hätte für Assad und die Islamisten kämpfen müssen“, erklärt Wissam. Mit dem Flugzeug reiste er aus dem Libanon in die Türkei, wo er für 1000 Euro Schmuggler bezahlte, die ihn mit 32 anderen Personen auf einem Schlauchboot über das Meer nach Griechenland schickten. „Fahrt zu dem Licht da, das ist Griechenland“, war die Richtungsangabe für die Überfahrt. Nach fünfeinhalb Stunden auf dem dunklen Mittelmeer, konnte er die griechische Küste betreten. „Das ist mein neuer Geburtstag“, sagt Wissam. In der letzten Stunde der Überfahrt war Wasser ins Boot eingetreten, das die 32 Personen verzweifelt aus dem Boot schöpfen.

Nach einer Nacht auf dem Boden in Samos kam Wissam nach Athen, denn er durfte sich 72 Studen Gruppe von fast 3000 Flüchtlingen vier Stunden an die mazedonische Grenze. „Ich erinnere mich da an eine ganz kleine Beobachtung. Ich sah in dem Wald eine Katze, die einfach so zwischen Mazedonien und Griechenland herumlief. Da fragte ich mich: warum darf die in das Land und ich nicht?“, beschreibt Wissam seine Eindrücke. In Mazdonien erreichten sie mit der Hilfe eines Einheimischen, der sich für die Gegenleistung von einer Flasche Bier an den Bahnhof brachte, die serbische Grenze. Dreimal versuchten sie, die Grenze zu überqueren, bevor sie durchgelassen wurden und bis Ungarn weiterreisen durften. Da bestand ihre Gruppe aus 21 Personen. In Ungar wurde Wissam fünf Tage im Gefängnis festgehalten, weil er sich weigerte, seine Fingerabdrücke abzugeben. Für 500 Euro brachten ihn Schmuggler danach nach Passau und von dort kam er nach Deggendorf und anschließend in das Aufnahmelager Zirndorf, wo er zehn Monate lebte. Seit 2016 ist er in Deutschland anerkannt. Nach zwei Jahren hat dann auch der Familiennachzug geklappt und seine Frau und seine beiden Kinder konnten auch nach Deutschland ausreisen. Seine Mutter und sein Bruder leben allerdings immer noch in Syrien.

„Schlimm ist, wenn ich jetzt in Deutschland lebe, und ich verliere jemanden aus meiner Familie, dann kann ich nicht zur Beerdigung fahren.“ Im Dezember 2016 starb Wissams Vater in Syrien und er konnte nicht selbst an der Beerdigung teilnehmen. „Ich habe nur Bilder und Videos gesehen. Bis heute kann ich nicht glauben, dass mein Papa gestorben ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich sein Grab in Syrien jemals besuchen kann!“

Nach dieser eindrücklichen und emotionalen Schilderung seiner Flucht, können die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen.

Daraufhin erzählt Wissam noch, dass er mit Freunden und Bekannten zusammen geflohen ist. Sie leben aber alle über Deutschland verteilt, beispielsweise in Regensburg, Köln oder Bielefeld. Die Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland wird durch den Königssteiner Schlüssel organisiert.

Auf die Frage nach seinen Erlebnissen mit Rassismus in Deutschland erzählt Wissam das Erlebnis aus einer Nacht in einer Nürnberger U-Bahn-Station. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland sprach ihn ein Mann in der Unterführung an, „erst aggressiv und mit vielen dummen Fragen.“ Da Wissam bis heute keinen Deutschkurs belegt hat und zu dieser Zeit auch erst sehr kurz in Deutschland lebte, musste er auf Englisch sprechen. Dies hat den Mann zusätzlich gestört. Er sah sich mit vielen Vorurteilen konfrontiert, die er aber in einem langen Gespräch mit dem Mann außer Kraft gesetzt hat. Alle Flüchtlinge haben mindestens 20 Kinder, und sie trinken ja kein Bier und außerdem werden es immer mehr und irgendwann sind sie mehr als die Deutschen, mit solchen Anschuldigungen sah sich Wissam konfrontiert. Aber mit einem Vergleich hat er seinem Gegenüber die Augen geöffnet: „Nicht alle Deutschen sind Nazis, oder? Also sind auch nicht alle Flüchtenden gleich!“

Ein Sprachzertifikat hat er mittlerweile erhalten – auch ohne offiziellen Deutschkurs. Denn kurz nachdem er in einem Kurs angemeldet war, erhielt er ein Arbeitsangebot an der Universität Bamberg, an der er auch heute noch arbeitet. „Da hab ich den Kurs abgesagt und die Stelle angenommen. Deutsch hab ich dann durch meine Freunde und Bekannten gelernt“, erklärt Wissam. An der Uni arbeitet er bei einem Forschungsprojekt über Integration mit. In Damaskus hat er eigentlich Bank- und Finanzwesen studiert und in einer Bank gearbeitet, sein Masterabschluss ist in Deutschland auch anerkannt, im Moment arbeitet er aber als Syrien-Experte und versucht weiterhin, sein Deutschniveau zu verbessern.

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Der Vortrag endet mit der eindrücklichen Antwort auf die Frage, ob er jemals eine Waffe in der Hand hielt. Wissam erklärt, jede syrische Familie hat eine Waffe zu Hause, um die Familie im Zweifel selbst verteidigen zu können. Für ihn war das auch selbstverständlich, denn ihm war klar, wenn es zu einer Entführung beispielsweise durch den IS kommen sollte, würde er seine Familie lieber erschießen, als sie in deren Hände fallen zu lassen. „Deshalb habe ich eine Waffe mit genau fünf Patronen für meine Familie und mich zuhause gehabt“, sagt Wissam.