
Landauf, landab erstarken rechtsextreme Positionen. Nicht nur in den sozialen Medien werden rassistische oder antisemitische Ressentiments offen formuliert, sondern auch im öffentlichen politischen Raum, in den Parlamenten oder bei Demonstrationen. Unseren Schülerinnen und Schülern war es deshalb im Rahmen der letzten SMV-Tagung ein großes Anliegen, dem etwas entgegenzusetzen. Sie wünschten sich über den Unterricht hinaus Veranstaltungen und Aktionen, bei denen über Ursachen und Folgen rassistischer Überzeugungen aufgeklärt würde. So entstand die Idee, das Stück „Was das Nashorn sah, als es über den Zaun schaute“ in einer Inszenierung der Naturbühne Trebgast ans KZG zu holen. An drei unterschiedlichen Aufführungstagen konnten die Schülerinnen und Schüler der 8. bis 11. Jahrgangsstufe die beeindruckende Tierparabel, die in einem Zoo des KZs Buchenwald spielt und eindringlich über das richtige Verhalten gegenüber menschenverachtenden Handlungen reflektiert, verfolgen.
Dazu die Rezension von Heike Schülein, erschienen am 30.6.2025 in der Neuen Presse:
Bewegendes Theaterstück über den Holocaust nicht nur für Jugendliche
Tiere, die über den Zaun auf ein Lager blicken, und ein Neuankömmling, der gefährliche Fragen stellt – Ein Ensemble der Naturbühne Trebgast spielte am Kaspar-Zeuß-Gymnasium ein eindringliches Jugendstück über den Umgang mit Unmenschlichkeit.
Kronach- „Siehst du die Gestreiften dort, auf der anderen Seite des Zauns? Von denen hältst du dich besser fern. Die Gestiefelten, das sind die Bosse; die Gestreiften sind gar nichts!“ – Dafür, dass sie gar nichts sind, sind sie aber ganz schön viele!“ – Es gab einmal einen Zoo auf einem Berg. Von dort aus konnten die Tiere zwei „Sorten“ von Menschen sehen: Menschen in gestreiften Anzügen, die in hässlichen Baracken lebten, und Menschen in glänzenden schwarzen Stiefeln, die in schönen Häusern wohnten. Zwischen dem Zoo und den Menschen stand ein summender Zaun mit Stacheldraht und Wachtürmen. Dieser Zaun war aber nicht wegen der Tiere da. Bis vor kurzem lebte ein Nashorn im Zoo, das ganz plötzlich gestorben war. Papa Pavian, der „Chef“ unter den Zoobewohnern, erklärte den anderen Tieren, dass das Nashorn sich in Dinge eingemischt habe, die ihn nichts angingen. Und die hatten etwas damit zu tun, was es auf der anderen Seite des Zaunes sah…
Direkt neben dem Konzentrationslager Buchenwald gab es einen historisch verbürgten „Zoologischen Garten“ für die KZ-Aufseher und deren Familien, die hier spazieren gingen, während direkt nebenan unvorstellbares Leid geschah. Aus diesem Zynismus der Geschichte heraus ein Theaterstück für ältere Kinder und Jugendliche zu formen, ist gewagt und hätte schief gehen können. „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“ ist aber gelungen, sehr sogar! Einfühlsam, mit großer Sensibilität und altersgerecht nutzt Jens Raschke den grotesken Ort, um daraus eine kraftvolle Parabel über Mut und den Umgang mit Unrecht und Unmenschlichkeit zu schreiben. Es geht um Angst und Anpassung, aber auch um Mitgefühl. Ihm gelingt dabei das Kunststück, einen derart brisanten historischen Stoff in einer fiktiven Geschichte zu erzählen, die unterhaltsam, lehrreich und allgemein gültig ist; die Mut macht, sich nicht rauszuhalten – so wie der junge Bär, der neu in den Tierpark kommt und versucht, die Welt um sich zu begreifen.
Weshalb gibt es keine Vögel in der Luft? Wer sind die winzig dürren Gestalten auf der anderen Seite vom Zaun und warum werden sie von den Gestiefelten getreten und herumkommandiert? Und was ist das für ein beißender Gestank, der mitten im Frühling aus dem rauchenden Schornstein kommt? Mit seinen Fragen und Beobachtungen provoziert der Neuling (Fynn Hottung) den Ärger von „Papa Pavian“ (Jakob Kammerer). Der Tier-Chef schaut lieber weg und möchte gar nicht so genau wissen, was hinter dem Zaun passiert. Die Gestreiften gäben den Tieren Futter und kümmerten sich. Man habe es hier doch gut – viel besser als viele Artgenossen in den Tierversuchslaboren. Trotzdem rät er dem Bären, keinen Kontakt aufzunehmen. „Es kommt ab und zu vor, dass sich die Gestiefelten einen von den Gestreiften schnappen und ihn mit zusammengeschnürten Daumen an einen Ast hängen. Ich weiß nicht, was das soll. Ich misch mich da nicht ein.“
Doch der Bär möchte wissen, was hier vor sich geht; möchte, der Ursache des üblen Gestanks auf die Spur kommen. Er will, dass man hinsieht. Doch auch bei den anderen Tieren im Zoo herrschen aus Erfahrung Angst und Vorsicht. Sie gucken lieber weg und spielen mit, weil sie um ihr Leben fürchten. „Solange sie sich selbst totmachen, kann es uns doch egal sein“, sagt das Murmeltier-Mädchen (Sonja Bayer), wogegen sich Herr Mufflon (Julius Haendle) mehr und mehr Gedanken macht: „Was ist, wenn der Bär recht hat? Wenn wir die nächsten sind?“ Den Bären lässt indes nicht los, was er sieht. Als er es nicht länger aushält, entscheidet er sich zu handeln und er fast einen folgenschweren Plan…
Kraftvolle Tier-Parabel über den Holocaust
Sein ungewöhnliches Werk brachte dem Autor Jens Raschke mehrere Auszeichnungen ein. Über die Fabelsymbolik der sprechenden Tiere mit menschlichen Eigenschaften sendet er eine klare Botschaft für Freiheit und Zivilcourage. Beim Zusehen drängen sich unwillkürlich Fragen auf wie: Wie soll man leben? Was muss man tun? Möchte ich so sein wie der Bär, der hinschaut und den das Gesehene nicht kalt lässt oder wie der Pavian, der seine Komfortzone nicht verlassen will und lieber wegschaut?
Die eindrückliche Produktion ermöglicht einem jungen Publikum eine Annäherung an eine Zeit der Deutschen Geschichte, der wir gedenken müssen, um sie nicht wieder aufleben zu lassen. So sehen es auch Regisseur Gerald Leiß und Frank Endrich von der Naturbühne Trebgast, die sich gemeinsam mit den vier Schauspielern im Anschluss den Fragen der Schülerinnen und Schüler stellten. Sicher zeigten sie sich, dass das 2013 erschienene Stück angesichts der heutigen politischen Lage mit einem Erstarken der rechtspopulistischen Parteien sogar noch an Bedeutung gewonnen habe. Aber auch in allen anderen Bereichen unseres Lebens sei Zivilcourage gefragt.
Die Produktion kann an Schulen sowie anderen Stätten aufgeführt werden. Am Kaspar-Zeuß-Gymnasium wurde es am Donnerstag im Rahmen des Geschichts- sowie Politik-und-Gesellschaftsunterrichts für die 10. und 11. Jahrgangsstufe gezeigt. Für die 9. Jahrgangsstufe hatte es zuvor bereits eine Aufführung gegeben. Finanziell unterstützt wurden die beiden Gastspiele vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Carmen Mattes von der Fach- und Koordinierungsstelle im Landkreis Kronach zeigte sich in Reihen der Zuschauer ebenso tief bewegt vom Gesehenen wie auch das junge Publikum, bei dem die Stunde einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. hs
Susanne Posekardt