Der Ukrainekrieg im Sozialkunde-Unterricht

Am vergangenen Montag besuchte der Jugendoffizier der Bundeswehr das Kaspar-Zeuß-Gymnasium und informierte die Q12 über den Ukraine-Krieg und die Rolle Russlands in der internationalen Politik.

Im Kreiskulturraum begrüßten die Sozialkundelehrkräfte Verena Zeuß und Ulrich Schwiete Dhany Sahm als Sicherheitsexperten. In 90 Minuten sollte es um den aktuellen Krieg in der Ukraine und die Situation und Geschichte Russlands gehen.

Zuerst stand die geopolitische Situation Russlands allgemein im Mittelpunkt: Russland ist das größte Land der Welt und ungefähr 48 Mal größer als Deutschland. 90% der knapp 150 Millionen Einwohner leben im Westen. Aufgrund verschiedener Kulturen, Minderheiten und Ethnien ist es schwierig, von „den Russen“ zu sprechen, weil die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr vielfältig ist. Dies gilt es auch bei der Einschätzung der aktuellen Stimmung im Land selbst zu berücksichtigen.

In einem nächsten Schritt beleuchtet der Jugendoffizier die Rolle Putins in der russischen Geschichte. In einem kurzen Überblick erklärt er die politische Laufbahn des Präsidenten, der seit 2000 mit kurzer Unterbrechung das höchste Amt im Staat bekleidet. „Putin ist sehr stolz auf sich, aber auch sehr stolz auf sein Land“, berichtet Hauptmann Sahm. Aufgewachsen in einem kleinen Haus einer Arbeiterfamilie will der junge Putin zuerst Jura studieren, entscheidet sich dann aber für eine Karriere beim KGB. Dies führt ihn nach Dresden: „Putin spricht fließend Deutsch. Seine Frau ist Deutschlehrerin und auch seine Töchter sprechen viele Sprachen“. Im Anschluss war Putin maßgeblich am Wahlkampf Boris Jelzins beteiligt und wurde nach dessen Rücktritt 1999 selbst Präsident.

Ist Russland eine globale Großmacht? „Es ist offensichtlich, dass Russland unendlich groß ist. Außerdem spielen die Rohstoffe eine wesentliche Rolle“, so der Sicherheitsexperte. Dass der damalige US-Präsident Barack Obama Russland 2008 als „Regionalmacht“ bezeichnete, traf den russischen Präsidenten wohl hart. Der Besitz von Atomwaffen, der dem Land auch nach dem Atomwaffensperrvertrag zusteht, macht Russland nahezu unangreifbar. „Die Bedrohungslage geht nicht von der reinen Militärstärke Russlands aus“, macht der Experte klar, „die beruht vor allem auf den Atomwaffen.“

Was will Putin eigentlich? In einem nächsten Schritt geht es um die Zielsetzung des russischen Präsidenten. Betrachtet man die Reden der letzten 20 Jahre, wird deutlich, dass Putin ab 2007 eine mehr und mehr anti-westliche Einstellung eingenommen hat. Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 warf er der NATO die Erweiterung nach Osten vor. Der Jugendoffizier ordnet dies ein: „Jedes Land muss sich um die Mitgliedschaft in der NATO bewerben. Es werden keine Einladungen verschickt. Demnach ist es keine aktive Erweiterung der NATO, sondern eine passive Ausbreitung.“ Nach der Einschätzung des Jugendoffiziers geht es Putin nicht um ein Wiederbeleben der Sowjetunion, sondern um eine Rückkehr zu diesem Einfluss und dieser Macht, die von ihr ausging. Schon 2005 beurteilt Putin den Zerfall der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

Die NATO, das nordatlantische Verteidigungsbündnis, wurde unter dem Eindruck der Berliner Luftbrücke nach dem Zweiten Weltkrieg und der Annahme, dass sich niemand alleine gegen die Sowjetunion verteidigen kann, gegründet. Putin erkennt in der NATO eine Gefahr für sich und für sein Land.

Im nächsten Teil spricht der Jugendoffizier über die Ukraine. 1994 gab die Ukraine ihre Atomwaffen ab und im Gegenzug erkannte Russland ihre Souveränität an. „Fast genau 20 Jahre später wurde die Krim annektiert. Genaue diese Eigenständigkeit wird ihr gerade abgesprochen“, verdeutlicht der Sicherheitsexperte. Bis 2014 funktionierte das Land ähnlich wie Belarus und orientierte sich stark an Russland. Die inneren Unruhen, die aufkamen, weil das Land demokratischer werden wollte, wurden niedergeschlagen. Dieses Chaos nutzte Putin für die Annexion der Krim.
Das im Anschluss abgehaltene Referendum auf der Krim war völkerrechtswidrig. Der Jugendoffizier mutmaßt: „Hätte Putin ein völkerrechtskonformes Referendum durchführen können, hätte die Krim vielleicht offiziell an Russland fallen können. Viele fühlen sich da russisch.“ So gehört die Halbinsel bis heute völkerrechtlich noch zur Ukraine.

Welche Rolle spielt die NATO im Ukrainekrieg? Seit der Annexion der Krim wächst die Sorge im Baltikum und in Polen, dass es in ihren Ländern zu einer ähnlichen Situation wie in der Ukraine kommt, denn auch hier leben russischstämmige Bürgerinnen und Bürger vor allem an den Grenzen zu Russland. Aus Solidarität mit den Mitgliedsländern stationierte die NATO Truppen in Estland, Lettland und Litauen. „Hier ging es darum, die Gemeinschaft zu stärken. Es ging nicht darum, sich dort gegen Putin zu verteidigen. Aber es zeigte deutlich: Greifst du einen an, greifst du uns alle an“, bewertet der Jugendoffizier die Situation. Hier sieht der Sicherheitsexperte einen Fehler der NATO. Im Frieden dürfen nach dem Völkerrecht nicht dauerhaft Truppen an den Grenzen stationiert werden. Die NATO vertritt allerdings die Auffassung, dass die Soldatinnen und Soldaten dort nicht dauerhaft stationiert sind, da sie alle sechs Monate ausgewechselt werden.

In einem nächsten Schritt zeigt Dhany Sahm die Begründungen Putins für den aktuellen Krieg in der Ukraine auf: Nach Putins Erklärungen haben die Volksrepubliken im Donbass Russland um Hilfe gebeten. Deshalb gebe es eine besondere militärische Operation in der Ukraine. Gleichzeitig spricht er von einer notwendigen Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine. Dies sind in Russland positiv konnotierte Begriffe, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit der Befreiung Deutschlands von den Nationalsozialisten verknüpft sind. Diese positiven Assoziationen nutzt Putin nun für den Krieg. Auch hinter dem Vorwurf des Genozids gegen die Ukraine stecken historische Bezüge. Putin knüpft an den Krieg in Jugoslawien an. Hier verhinderte ein Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat die völkerrechtliche Legitimation für einen Einmarsch internationaler Truppen. Da aber ein Genozid stattfand, wurden die UN-Truppen dennoch ins Land geschickt. Dies lässt vermuten, dass für Putin der Vorwurf des Genozids als Legitimation für den Einmarsch dient.

Zum Abschluss des Vortrags ging es um die Folgen des Krieges. „Das erste, das im Krieg stirbt, ist die Wahrheit“. Am Beispiel des Angriffs auf das Kinderkrankenhaus in Mariupol erklärt der Jugendoffizier die begrenzte Möglichkeit im Krieg, sich Informationen zu beschaffen. Aus dem Ausland kann man nicht klar sagen, ob es sich um ein Kinderkrankenhaus und eine Geburtsklinik handelte, wie es die Ukraine angibt, oder ob die russische Aussage stimmt, es sei ein Soldatenlager bzw. Waffendepot gewesen. Auch bei dem Beschuss von Fluchtkorridoren ist die Antwort auf die Frage, wer dort schießt, nur sehr schwer klar zu beantworten.

Danach gab es für die Abiturientinnen und Abiturienten die Möglichkeit der Diskussion. Hier ging es um das veränderte Mediengesetz in Russland, das Falschnachrichten unter Strafe stellt. Es ging aber auch um die Frage, inwiefern es in unserer Demokratie erlaubt ist, die russischen Staatsmedien zu verbieten. Es wurden aber auch Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert, genauso wie der Einsatz von ABC-Waffen in dem Krieg oder die militärische Stärke Russlands.

Verena Zeuß